[vc_row][vc_column][vc_column_text]GEDANKEN DER FRAU ROSA – TRAUTE (JULI 2016)

Und neulich…
traute sich Frau Rosa. Wenn sie so zurückdachte, war sie noch nie so mutig gewesen.

Es war einer dieser grauen, langweiligen, durchgestylten Dienstage. Als sie zur Arbeit kam, waren alle schon da.

Sie konnte sich im Grunde organisieren, wie sie wollte, es gelang ihr nie als erste zum Dienst zu erscheinen. Frau Rosa war eben letzte.
Sie hatte einen Sohn und einen Mann und musste natürlich das volle Morgenprogramm bewältigen. Aufwecken, freundlich sein, Morgentoilette, freundlich sein, Frühstück machen, freundlich sein, Frühstück essen, freundlich sein, Schulbrote schmieren, freundlich sein, „Habt ihr an alles gedacht“ flöten, dabei freundlich sein, den Kleinen in die Schule bringen, freundlich sein, Bahnfahrt, freundlich sein. Ihre Hauptaufgabe schien: freundlich sein!

Ihre Bedürfnisse NICHT wichtig zu nehmen, hatte sie fleißig gelernt und gewissenhaft verinnerlicht.

Auf der Arbeit waren die anderen schon beim zweiten Kaffee. Sie wurde beäugt wie: Na wieder nicht geschafft? Du willst wohl nicht zu uns gehören? Kleinere Sticheleien, hätte sie in Körben sammeln und an Bedürftige abgeben können. Sie schlich also schüchtern vorbei und verschwand in ihrem Büro.

Frau Rosa hatte eine halbe Stelle und war dementsprechend nur 3 Tage in der Woche in der Firma. Obwohl sie schon seit vielen Jahren dort arbeitete, fühlte sich oft nicht dazugehörig, wenig wertgeschätzt und hatte es schwer, richtig Fuß zu fassen. Die Informationskultur in ihrer Abteilung ließ zu wünschen übrig. So gab es selten die Möglichkeit zum Austausch, ohne den Eindruck, sich zu präsentieren und Pluspunkte sammeln zu müssen. Auf Ihrem Anerkennungskonto verzeichnete sie eher ein Minus und sie rutschte jedes Jahr in der Zielbewertung ab. Das machte ihr zu schaffen.

ABER sie traute sich nicht. Sie fürchtete herablassende Blicke. Sie hatte Schweißausbrüche, wenn die Teamsitzung begann. Sie fühlte sich beobachtet, weil sie doch im Zielgespräch unterschrieben hatte, sich mehr einzubringen. Aber unter Druck fiel ihr nichts ein, nicht ein Gedanke, nichts Schlaues. Und dann redeten andere, über Banalitäten, wie sie fand.

Es wurde geredet, viel geredet. Wenn Menschen beieinander sind, wird nun mal geredet. Und wenn sie nicht da war, natürlich auch über sie. Ihre Kolleginnen lästerten beim Mittagessen über eine andere Kollegin, die nie mit zum Essen kam. Also warum sollte das bei Frau Rosa anders sein? Heimlich bewunderte Frau Rosa den Mut der Kollegin, einfach nicht zum Essen zu gehen. Sie war regelrecht neidisch, denn auf diese Art der Pausen, konnte sie eigentlich gut verzichten.
So fantastisch abgrenzen, das wollte sie auch können.

Später mal an einem dieser langen lauen Sommerabende, nachdem sie ihre Familie versorgt hatte, ging sie noch eine Runde durch den Park. Allein! Sie liebte es, auch mal allein für sich zu sein. Sie nutzte diese Abendspaziergänge zum Entspannen.

Da kam ein Gedanke vorbei. Ein langer, ziemlich dünner und fast unsichtbarer Gedanke. Er hatte einen albernen quietschbunten Karnevalshut auf dem Kopf und einen seltsamen Gang. Sie dachte an Goethe: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“
Sie versuchte den Gedanken zu ignorieren, aber er schlurfte beharrlich neben ihr.
Und obwohl Frau Rosa keine Gedanken ans Denken verschwenden wollte, fragte der Gedanke direkt: „Warum machst du nicht einfach was du willst?“  Frau Rosa war erst trotzig und starrte vor sich hin. Sie liefen ein Stück. Dann aber erzählte sie, dass sie befürchte über sie würde geredet werden und das könne sie nur schlecht aushalten.
Der Gedanke antwortete: „Sowieso!“ belächelte sie und wankte still weiter.
„Was sowieso?“, fragte Frau Rosa nervös.
„Na Sowieso!“, sagte er, zog triumphierend die Augenbrauen hoch und schwieg.
Frau Rosa hatte einen Kloß im Hals, wurde innerlich ungehalten und fragte heißer: „Was meinst du?“
„Sowieso! Sie reden sowieso. Egal, was du tust. Ob du es so machst, wie sie wollen oder so, wie du es willst. Sie reden sowieso.!“
Frau Rosa war der Gedanke plötzlich peinlich. Wie er da so neben ihr her wackelte.
Dass sie nicht schon früher darauf gekommen war. Der Gedanke war nun fast durchsichtig. Er flüsterte noch: „Dann mach doch einfach was du willst!“ und war dann verschwunden.

Frau Rosa setzte sich erschöpft auf eine Parkbank. Der Gedanke ging ihr nicht aus dem Kopf.
Na klar, wenn Sowieso geredet wird, kann sie ja gleich machen was sie will. Dann tut sie wenigstens, was sie gerne mag.

Sie nahm sich vor, den Gedanken zu berücksichtigen. Ein leises: „Danke!“ huschte über ihre Lippen.

Die Runde im Park war fast vorbei. Kurz vor dem Ausgang, lag etwas quietschbuntes auf dem Weg. Sie hob es auf. Es war ein Zettel, auf dem stand „Sowieso!“ Gänsehaut lief ihr über den Körper wie ein fleißiger Ameisenstaat. Sie steckte den Zettel in ihre Tasche und fasste einen Entschluss.

Am nächsten Tag kam sie zum Dienst. Die Damen waren schon beim zweiten Kaffee und beäugten sie. Sie fasste an ihre Tasche, sich ein Herz und sagt freundlich: „Guten Morgen.“ Die Kolleginnen waren verblüfft und nickten nur, eine lächelte sogar.

An diesem Tag traute sich Frau Rosa. Sie ging einfach nicht mit zum Essen. Sie ging raus, genoss die frische Luft und hing ihrem Gedanken nach.

Autorin: Aline Kramer[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]