[vc_row][vc_column][vc_column_text]GEDANKEN DER FRAU ROSA – FREMDGEHEN (Oktober 2016)

Und neulich…

ging Frau Rosa fremd. Das wurde ihr zumindest indirekt vorgeworfen.

Als Frau Rosa mit Ihrer Arbeitskollegin über die Situation sprach, empörte sich diese, lies wütende Kommentare ab. Dann trat befangenes Schweigen ein. Kein Wort.

Frau Rosa war in einem klassischen Loyalitätskonflikt. Das Wertesystem in Ihrer Firma gebot: Ackern bis zum Umfallen. Mitgegangen, Mitgefangen. Das machte es besonders schwer. Für Ihre Kolleginnen war die Sache klar, sie war unehrlich, hatte sich „scheiden“ lassen und war damit schuldig gesprochen.

Ein mächtiger Vorwurf!

Frau Rosa hatte es sich nicht leichtgemacht; sie hatte ein Kind, einen Mann, Eltern und Geschwister und sie hatte eine Art innere Uhr. Früher hatte sie gar keinen Zugang zu diesem tiefen Mechanismus. Aber neuerdings schellte diese Uhr öfter mal Alarm. Es war ein Instinkt, die Gendarmerie ihrer selbst. Ein nicht unwesentliches Rädchen in diesem Mechanismus war ihre Lust. Sie wurde übellaunig, wenn sie immer nur am Schreibtisch saß. Wenn die Lust wegblieb, wurde sie krank, das hatte sie oft schmerzlich erfahren.

Also hatte Sie sich, wirklich schweren Herzens, entschieden nicht mehr mit vollem Stundenanteil im Büro zu arbeiten. Sie wollte sich selbst ernster nehmen und auch Dinge tun, die ihr Kraft gaben.

Frau Rosa hatte verinnerlicht, dass Ehrlichkeit das höchste Gut sei. Allerdings hatte sie im Laufe ihres Lebens auch äußerst unangenehme Erfahrungen gemacht, wenn sie ehrlich war. So entschied sich also manchmal dafür, lieber gar nichts zu sagen oder sogar eine kleine Notlüge anzubringen. Das brachte ihr Bedürfnis nach Harmonie und ihre Angst vor Konflikten einfach mit sich. Das war wohlgemerkt manchmal!
Denn Sie hatte auch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und setzte sich durchaus ein. Meist für andere.

War sie in diesem Fall wirklich unehrlich gewesen?

Ihr kam der Gedanke, dass es stimmte. Ja, sie war illoyal, verlogen, feige, charakterlos. Im Grunde abscheulich! Dieser Gedanke war einer ihrer massivsten Kritiker, war fies, unerträglich, hatte sich festgebissen, saß ihr im Nacken. Er fühlte sich an wie ein Heuschreckenschwarm, der in kürzester Zeit die Ernte zerstörte.

Gerade in letzter Zeit hatte sie sich intensiv mit eigenen Zielen und Werten auseinandergesetzt. War im Austausch, einer Art Diskussion mit sich und auch anderen Menschen. In kontinuierlicher Kleinstarbeit, hatte sich etwas wie Selbst-Bewusstsein entwickelt.  Sollte sie denn die erworbene Treue zu sich selbst in Frage stellen?

Umso interessanter war es, dass besonders diese kritischen Gedanken, sie immer noch ziemlich schnell aus der Bahn werfen konnten. Das war mühsam. Sie kamen als lang gelernte innere Verpflichtungen, setzten sich fest und das war`s dann.

Wie sehr hingen Ehrlichkeit und Loyalität zusammen? Konnte sie denn ihrem Chef und ihren Kolleginnen gegenüber loyal sein, wenn sie nicht 100% zu dieser Arbeit stand?

Ging es hier nicht auch um Erwartungen? Wie sollte sie sich nach außen Verhalten und welche inneren Haltung müsste sie einnehmen?

Vielleicht wäre es besser, darüber zu reden, wie die Entscheidung für die Stundenkürzung entstanden ist. Sie könnte genauer erklären. Es waren ja sehr unterschiedliche Reaktionen im Kollegium zu beobachten: Ärger, Kummer, Missfallen, Neid, Missgunst an einigen kleinen Stellen loderte Verständnis auf. Möglicherweise gab es auch Fragen an sie. Genau, dieses Gespräch würde sie führen.

Und jetzt war sie eigentlich ganz froh, diesen Gedanken zugelassen zu haben.

Autorin: Aline Kramer[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]