[vc_row][vc_column][vc_column_text]GEDANKEN DER FRAU ROSA – AUSTAUSCH (APRIL 2016)

Und neulich…
suchte Frau Rosa Austausch. War, wie man heute so schön sagt, im Sinne der Vernetzung unterwegs. Sie hatte das erst Mal in Ihrem Leben ein Blind Date. Obwohl es so blind ja nicht war, ein Foto hatte sie schon gesehen.

Also ein Gesicht, ein nordeuropäisches Gesicht: diese Frau war, wenn man die Welt mal global betrachtet, aus derselben Ecke wie sie. Vielleicht aus der gleichen Stadt mit ganz
ähnlicher Sozialisation? Könnte aber auch slawische Wurzeln haben, wer weiß das schon.

Ein Gesicht mittleren Alters.
Es könnte also sein, dass auch sie als kleines Mädchen durch die Straßen und Höfe getigert ist, in Lederhose mit 20 Pfennig im Latz für einen nötigen Anruf aus der Telefonzelle. Frau Rosa war als Mädchen am liebsten im Stadtpark unterwegs, hatte Höhlen gebaut und dort Fantasien gelebt. 18:00 Uhr war es damit vorbei, beim Läuten der Kirchenglocken, hieß es „ab nach Hause“ und in die Wirklichkeit.

Das Foto: ein höfliches, argloses Gesicht, grün im Hintergrund, vielleicht naturverbunden, jedenfalls ansprechend. Welche Geschichten würde diese Frau erzählen können?

Frau Rosa ging neben ihrer Büroanstellung, stundenweise einer selbstständigen Tätigkeit nach und musste sich einen eigenen Kollegenkreis aufbauen. Dafür war dieses Treffen ausgelegt. In welcher Rolle würde sie dorthin gehen, als vermeintliche Kollegin oder als Privatmensch Frau Rosa? Und welche Rolle spielten eigentlich Einstellungen zum Leben und die Weltanschauung? Wie wichtig war es für eine erste Begegnung hier klar zu sein?

Mittags verabreden auf einen Kaffee, ungezwungen, was kann schon passieren?

Auf dem Weg überlegte Sie, wie das Treffen wohl verlaufen würde?

Ein kleiner, runder Gedanke machte sich auf ihrer Schulter breit: „Ihr habt kein Codewort ausgemacht. Wirst du das Gesicht überhaupt erkennen?“ Frau Rosa wurde nervös. In Natur, waren Gesichter oft ganz anders. Da sprach dann das echte Leben. Es sagte: ich bin bedürftig oder unglücklich oder dauerhaft verdrossen oder arrogant oder anmaßend. Das hatte sie schon manchmal erlebt und war immer wieder erschrocken. Also ist nur ein Foto doch ziemlich blind oder zumindest unklar. Wie wichtig doch der direkte Kontakt war, die Stimme, die Körpersprache.

Der Gedanke bohrte, löste Unbehagen aus: „Was, wenn die Frau unsympathisch ist?“ Das ihr Körper schnell Signale für eine Entscheidung sendete, kannte Frau Rosa nur zu gut. „Wie viel Zeit würdest du dir geben, falls das erste Bauchgefühl ungut ist?“ Der Gedanke dehnte sich aus. Wie ein Tuch lag er nun über ihrer Schulter. „Schaff` dir doch Sicherheit. Welche Fragen musst du stellen? Wie genau willst du dich abgrenzen, Frau Rosa? Was würdest du sagen, wenn du vorzeitig gehen wollen würdest?“ Der Gedanke war nun erträglicher, streckte sich und ließ etwas Luft an ihren Nacken. „Vielleicht wird es ja ein echter Austausch. Was würdest du tauschen wollen? Wie wertvoll müsste das sein? Und bekämst du was zurück? … Brauchst du was zurück?“

Als sie sich von Ihrer Gesprächspartnerin verabschiedete, war etwas entstanden.

Frau Rosa hatte einen Menschen kennen gelernt. Eine Frau schlank und sportlich gekleidet, mit braunen langen Haaren, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie hatte einen schmalen Mund, der nicht so recht zu den Proportionen des Gesichtes passen wollte. Wenn er sich öffnete, kam zu Beginn immer ein kleines Zischen heraus, als wenn erst genug Raum für die Worte bereitet werden musste.
Im Wesen schien die Frau offen, freundlich und zugleich voller Zweifel zu sein, mit vielen Ideen im Kopf, ganz eigenständig, irgendwie erwachsen. Ein gutes Gespräch war entstanden, auf Augenhöhe von gegenseitigem Interesse geprägt.

Frau Rosa hatte ein kleines Stück Haltung erworben. Sie hatten sich über ihre Lebenswege und die Arbeit ausgetauscht. Im Bewusstsein auf einem guten Weg zu sein, wurde Frau Rosa bestärkt.

Während des Gespräches hatte sich Frau Rosa genau beobachten können und eine kleine Wiederentdeckung gemacht. Normalerweise gab Sie gern, ohne Neid und ohne Missgunst. Dennoch waren fast eifersüchtige Gefühle aufgekommen, als sie sich mit der Frage beschäftigte, eine bestimmte Information zu tauschen. Das kannte sie von früher, als sie Schülerin war. Ja! Wissen ist Macht. Es kostete sie Überwindung mit der Information rauszurücken, doch sie hätte sich schlecht und egoistisch gefühlt, es nicht zu tun. Der Inhalt dieser Information gehörte nicht ihr allein.
Ihre Gesprächspartnerin war sympathisch und der Tipp würde bestimmt auch für sie hilfreich sein. Am Ende war die Reaktion eine andere: distanziert, abwartend, zu wenig begeistert. Frau Rosa schoss das Blut in den Kopf, sie spürte Scham in sich aufkommen, war enttäuscht, wie pauschaliert sie gedacht hatte.

Auf dem Heimweg kam der kleine, runde Gedanke aus ihrer Handtasche geglitten: „Etwas, was du als wertvoll erachtest, muss für andere lange nicht diesen Wert haben. Du musst wissen, welche Werte DU vertrittst und welchen Wert DU hast, dir DEINER SELBST bewusst sein.“ Dieser kleine, beständige Gedanke war ambivalent. Er konnte sie permanent unter Druck setzen und stellte sie auf die Probe. An anderer Stelle ließ er sie Oberwasser bekommen. Erst mit den Jahren konnte sich Frau Rosa besser einordnen, fühlte sich etwas sicherer.

Letztlich hatte das Treffen diesen Gedanken hervorgebracht. Sie konnte sich hinterfragen, das war immer gut.
Und auch wenn sie es nicht wirklich brauchte… Es kam immer was zurück, wenn sie etwas gegeben hatte. In diesem Fall, war es ein Stück Geschichte, an der sie teilhaben und in die sie mit hineindurfte.

Und da Frau Rosa Menschen und Ihre Geschichten mochte, war das mehr als viel.

Autorin: Aline Kramer[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]